Orte der Demokratie in Bayern

Veröffentlicht am 01.11.2020 in Kommunalpolitik
 

Zum Pressebericht vom 23.10.2020 zur Anerkennung von Ermershausen als Ort der Demokratie in Bayern habe ich den folgenden Lesebrief an die Presse gesandt:

„Orte der Demokratie in Bayern“

Es ist schon interessant, was alles mit dem Begriff „Demokratie“ bezeichnet werden kann. Man kann den Erfolg eines „Rebellendorfes“ (siehe Presseberichte 1994) gegen die Entscheidungen demokratisch gewählter politischer Gremien auf allen Ebenen einer Region und des Landes darunter ehren, sofern dies der „staatstragenden Partei“ dient. Vielleicht ist es ja tatsächlich Auslegungssache, wem man eher zustimmen möchte, etwa den Argumenten von Freiherr von Andrian-Werburg (1978 Oberregierungsrat am zuständigen Landratsamt Haßberge): „Wir können es uns nicht raussuchen als Verwaltung, was wir tun und was wir lassen wollen, sondern wir haben das zu erfüllen, was derjenige, der dazu befugt ist, beschlossen und angeordnet hat. Das ist ein wesentlicher Grundsatz, tragender Grundsatz, dass überhaupt Staat funktionieren kann.“ – oder doch eher dem taktischen Kalkül des Sebastian Freiherr von Rotenhan, der mit der Stärkung der „staatstragenden Partei“ um 278 Neumitglieder innerparteiliche Auseinandersetzungen provozierte, was letztlich zu einer Revision der Gemeindegebietsreform in Bayern geführt hat.

Für Demokratie in Bayern braucht es schon ein besonderes Gespür. Es wird sicher interessant, welche Orte der Demokratie in Bayern als geschichtsträchtig für das überparteiliche Projekt noch geehrt werden. Herrenchiemsee als Ort, an dem im Konventstock des Alten Schlosses (des früheren Klosters) vom 10. bis 23. August 1948 der Verfassungskonvent zur Vorbereitung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland tagte, mag dazu gezählt werden, auch wenn seine royale Vergangenheit mit heutiger Demokratie nicht all zu viel gemein hat. Wenn Demokratie in Bayern überall dort stattfindet, wo Menschen sich engagieren, dann gibt es sicher noch andere Orte zivilgesellschaftlicher Aktionen jüngster Geschichte zu bedenken, als die im Pressebericht vom 23.10.2020 genannten Beispiele. Auf die „überparteiliche“ Auswahl darf man gespannt sein. Ob die „besondere Anerkennung für Ermershausen“ und eine dort durchzuführende „besondere Gedenkveranstaltung“, wie sie MdL Steffen Vogel vorschlägt, zu dem überparteilichen Projekt passen, darf bezweifelt werden. Beides wird sicherlich alte Wunden in der Region und auch in Ermershausen wieder aufreißen. Aber es passt: Wenn über einer Sache Gras gewachsen ist, kommt sicher ein Kamel, das dies wieder herunter frisst.

Susanne Kastner MdB a.D.

Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages a.D.